Wege, Brücken, Stege

Erschienen: 25. Februar 2011

Editorial

Sabine Wolf

 

Wenn der Weg das Ziel ist, kann es kaum ohne Brücken, Wege und Stege erreicht werden. Sie sind identitätsstiftende Merkzeichen und prägen das Bild der Landschaft. Sie haben eine eigene Geschichtlichkeit und bezeugen lokale, regionale oder nationale Baukunst. Sie verbinden Orte miteinander, überwinden Tiefen und Höhen. Sie verlaufen in und über der Landschaft, stellen sie aus oder machen sie erst erfahrbar. Sie erschliessen die Landschaft, und werden eingesetzt zu ihrer Inszenierung. Im Lauf der Zeit haben sich Materialien ebenso geändert wie Konstruktionspraktiken, was Restaurationsarbeiten vielfach so aufwendig macht. Aber es gibt auch heute noch neue Forschungsansätze, beispielsweise für den Steg der Zukunft.

 

Die Konzentration der Ausgabe gilt dem Langsam- und Fussverkehr, denn hier muss der Wegeführung, der Abfolge der Räume und dem Detail besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wie wichtig die richtige Wegeführung für die bewusste Wahrnehmung der Landschaft ist, wusste schon Louis XIV. Eigenhändig entwarf er, worauf Doris Kolesch 2006 hinwies, zwischen 1689 und 1705 sechs Manuskripte der «Manière de montrer les Jardins de Versailles», einer Anleitung, wie – auf welchen Routen, in welcher Reihenfolge, in welchen Geschwindigkeiten und aus welchen Perspektiven – die Anlagen von Versailles wahrzunehmen seien. Mit Gästen oder alleine besuchte der König beinahe täglich seine weitläufigen Anlagen mit fast acht Kilometer langen Wegen. Seit 1679 hatte er seinen Fuhrpark um 15 Rollstühle erweitert, in denen er und seine Begleitung fortan spazieren fuhren. Die Mobilität des Spazierenfahrens im Rollstuhl betonte und erhöhte die Dynamik des Blicks, den die Anlagen mit ihren differenzierten Raumfolgen, Ein- und Ausblicken dem zeitgenössischen Betrachter boten. Die gleiche Landschaft konnte so auf völlig neue Weise erfahren und erlebt werden. Ludwigs präzise Regieanweisungen strukturierten die Anlagen in Bilderfolgen und -sequenzen, unterteilten sie in Wahrnehmungsbereiche und choreographierten die pure Unmöglichkeit einer kollektiven Landschaftswahrnehmung.

 

Damals wie heute bedeutet Promenieren, welches sich durch die bewusste Wahrnehmung der Umgebung massgeblich vom schlichten Zurücklegen einer Wegstrecke vom Start- zum Zielpunkt unterscheidet, das selten gewordene Vergnügen der Entschleunigung. Dieses Gefühl wird umso intensiver, je geschickter und einfallsreicher die Umgebung und mit ihr landschaftsarchitektonische Anlagen und Bauwerke gestaltet sind. Auch das hat sich nicht verändert. 

 

Inhaltsverzeichnis

  • Stop and go. Zwischen Perspektive und Vorankommen > zum Artikel
  • Vision Zürichseeweg
  • Vom Bahnviadukt zum Quartier-Laufsteg
  • Wege mit Geschichte
  • Das einzig Beständige liegt im Wandel
  • Zwischen Stadt und Natur
  • Wachsende Stabilität > zum Artikel
  • Fenster in die Landschaft
  • Im Frühtau zu Berge
  • Sommer und Winter
  • Landmarke Achterbahn
  • Wenn nicht hier, wo dann: Eine Brücke für Brugg
  • Aussöhnung von Mensch und Natur
  • Brückenkunst in Flusslandschaft