Infrastrukturanlagen

Erschienen: 25. Mai 2018

 

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Editorial

Sabine Wolf 

 

Es gibt Grund für hoffnungsvolle, wenn auch noch verhaltene Freude: Es scheint, als wären wir drauf und dran, das Paradigma der Funktionentrennung zu überwinden, wie sie die Charta von Athen, 1933 auf dem IV. CIAM-Kongress in Athen verabschiedet, gepredigt hat und wie sie später immer und immer wieder in verschiedenen, meist monothematischen Kontexten – darunter «die autogerechte Stadt» – aufgenommen wurde. 

Letzteres ist der zum Schlagwort verkürzte Titel des 1959 vom Architekten Hans Bernhard Reichow veröffentlichten Buchs «Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos». Darin proklamiert Reichow den Vorrang des motorisierten Individualverkehrs längst nicht nur in Ballungsräumen. Das Ziel sollte erreicht werden durch klare Flächenzuweisungen, Nutzungsentmischung sowie die verkehrsmittelbezogene Entflechtung der Verkehrssysteme: Die Siedlungen sollten an moderne Mobilitätsbedürfnisse angepasst werden, insbesondere um die möglichst ungestörte Erreichbarkeit der Städte sowie von Adressen im Inneren der Siedlungskörper für Autofahrer und die Anlieferung von Waren per Lkw sicherzustellen. Grundlegende Elemente waren mehrspurige Umgehungsstrassen, Fussgängerzonen, Unterführungen für den Fuss- und Radverkehr, Parkhäuser und Parkleitsysteme. Die konsequente Umsetzung führte zu teilweise absurden, unökonomischen Situationen mit Mehrfacherschliessungen für die verschiedenen Verkehrsmittel.

So weit der Blick zurück, der uns heute neue Perspektiven in die Zukunft eröffnet: Wir präsentieren in dieser Ausgabe (inter)nationale, zukunftsweisende Projekte im Spannungsfeld von technischer Infrastruktur und Landschaft. Sie eint ihre Abkehr von der autogerechten Stadt und die Hinwendung zur Verflechtung und gezielten Überlagerung von Systemen. Im Mittelpunkt steht der Mensch, der sich den Strassen- und damit seinen Bewegungsraum zurückerobert. Nicht nur als «Langsamverkehr» zu Fuss oder mit dem Velo, auch an biodivers und naturnah gestalteten Rastplätzen von in die Landschaft eingebetteten und mit ihr verwobenen Autobahnen. 

Hier und dort übrigens entstehen, zunehmend, autoarme oder sogar autofreie Siedlungen. Das spielt weitere Fläche für Mensch, Flora und Fauna frei. Und es verändert nicht nur das Bild unserer Städte und Siedlungen radikal, es eröffnet auch neue Aufgabenfelder für LandschaftsarchitektInnen als ExpertInnen für die Gestaltung des Raums. Auch für das Mikro- und Stadtklima – und damit wiederum für den Menschen – ist weniger Verkehr äusserst zuträglich, und auch hier entstehen Aufträge für Landschaftsarchitekt_innen, diesmal als PflanzenkennerInnen und Fachleute für die Schnittstellen zwischen Umgebung und begrünten Fassaden und Dächern. Gute Aussichten also.

 

 

Inhaltsverzeichnis

  • Jürgen Feder: Botanik an Autobahnen in Mitteleuropa
  • Mireille Falque, Olivier Gaudin: Biotop am Strassenrand
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  • Bertrand Folléa: Infrastruktur für einen zerbrechlichen Standort
  • Alain Faragou: Eine Grünfläche auf der Überholspur
  • Monika Schenk: Brückenhaus mit Park
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  • Frank Müller: Dragon Bridge Shanghai
  • Matthias Krebs: Arkadia über der Stadtautobahn?
  • Beatrice Friedli Klötzli: Ein gewaltiges Projekt in Biel
  • Jean-Marc L’Anton: Meer, Mensch und Natur aufwerten
  • Pamela Schefer: Eine Pflästerung auf dem Prüfstein
  • Elma van Boxel, Kristian Koreman: Luchtsingel
  • Benoît Rauch, Fanny Cassani, Dominique Deleaz: Ortsumgehung Besançon