Klang

Erschienen: 12. September 2014

 

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Editorial

Sabine Wolf

 

Es ist ein interessantes Experiment, für einen Moment die Augen zu schliessen und sich die Umgebung nur aufgrund des Hör­eindrucks vorzustellen. Stimmen die Kopfbilder mit dem überein, was wir sehen, wenn wir die Augen wieder öffnen? Wie klingt ein Wald in der Einflugschneise eines Flughafens, wie die Einfall­strasse in die Grossstadt, wenn ein Amselmännchen seinen Abendgesang anstimmt – und welche Räume imaginieren wir?

Eduard Mörike hörte im 19. Jahrhundert den Frühling nahen «Horch, von fern ein leiser Harfenton!», noch ehe er ihn sah, und Alfred Döblin machte Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts zur Weltstadt, indem er dem grossen Stadtumbau des Alexanderplatzes mit dem gewaltigen «Rumm rumm» der Dampframme eine lautliche Dimension gab. Akustische Reize prägen unsere Wahrnehmung weit stärker, als uns häufig bewusst ist.

Der Klang der urbanen wie auch der ruralen Landschaft – und vielmehr noch sein Wandel – vermag eine akustische Kulturgeschichte zu erzählen, welcher die heute vielfach so sehr gesuchten ortsspezifischen Besonderheiten immanent sind. Das Wissen um Raumgestaltung durch Klang, heute als Soundscape-Forschung wieder en vogue, scheint zwischenzeitlich in modebedingte Abhängigkeiten geraten zu sein. Wie anders ist es zu erklären, dass es so in den Hintergrund geraten konnte? Ist dies alleine einer Technikgläubigkeit geschuldet, welche die Natur – und mit ihr offensichtlich den Klang – als beherrschbar annahm, den Klang zum Lärm erklärte und ihn mit technischen Verbauten plump bekämpfte? Lärmschutzungetüme säumen Autobahnen und Bahntrassen, Gärten ducken sich hinter Gabionenwänden. Wir sind bereit, uns die Aussicht zu verbauen, anstatt darüber nachzudenken, wie wir geschickte gestalterische Antworten auf unerwünschte Geräuschimmissionen finden können.

 

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein waren akustische Elemente wesentliche Teile der landschaftsarchitektonischen Gestaltung. Klingende Becken lotsten Besucher an entlegene Orte in den Parkanlagen von Versailles bis Wörlitz, die Konstruktionen von Äolsharfen und Wasserrauschern wurden publiziert und kopiert, Umgebungsgeräusche maskiert oder betont. Es erstaunt nicht, wenn es heute vielfach die Hochschulen sind, welche das verlorene Wissen aufarbeiten und in aktuellen Projekten als Forschungs- und Umsetzungspartner eine wichtige Rolle spielen. An internationalen Hochschulen entstehen derzeit hoch interessante Studien (siehe dazu auch den Beitrag von Yvonne Christ in anthos 4/2010 «Der Klang der Landschaft»), welche die urbane wie die rurale Landschaft über ihren Klang erkunden, sich mit Mess- und Erhebungsmethoden auseinandersetzen und zeitgemässe gestalterische Ansätze erarbeiten. Es besteht Hoffnung!

 

Inhaltsverzeichnis

  • Köbi Gantenbein: Bergsturztosen, Krähenruf und Glockenschall
  • Kilian Jost: Von Wasserrauschern und Naturtönen >> Artikel

  • Elise Geisler: Indikatoren für Klangqualität
  • Nadine Schütz: Landschaftsakustik: Wahrnehmung und Gestaltung

  • Andreas Kurz: Zur Qualität komplexer Klanglandschaften
  • Doris Tausendpfund: Oranger Garten
  • Jan Dietrich: Soundscape IGS Hamburg 2013 – fünf Stimmen für 80 Gärten
  • Emma Blanc, Louis Dandrel: Der Klanggarten
  • Huggenbergerfries: Lärmschutzwand Forchstrasse, Zürich
  • Barbara Willecke: Meeresrauschen im Grossstadtgetöse$
  • Andres Bosshard: Klangraumgestaltung
  • Stefanie Krebs: Natur und Landschaft übers Ohr
  • Anette Graupe, Regina Bucher: Stadt hören in Basel
  • Thomas Kusitzky: Auditive Langzeitbeobachtung Schlieren
  • Justin Winkler: Soundscape
  • Joachim Wartner, Raphael Aeberhard: Landschaft mit Ruhequalität >> Artikel